Zusammenwachsen – Landschaf(f)tstadt

Prof. Dr. Silvia Malcovati und Bernd Albers im Gespräch mit Marcus Nitschke

Wettbewerbsbeitrag Zusammenwachsen – Landschaf(f)tstadt © Bernd Albers/Silvia Malcovati

Marcus Nitschke
Ihr Beitrag zum Wettbewerb 2070 beschäftigt sich in Brandenburg mit den Städten Bernau und Schwedt. Wie sind Sie auf diese beiden Orte gekommen?

Silvia Malcovati
Wir sind ohne eine genaue Idee gestartet. Zunächst haben wir angefangen Orte zu untersuchen, die wir schon unter anderen Bedingungen betrachtet hatten, wie Potsdam oder Brandenburg an der Havel. Ziemlich schnell haben wir jedoch bemerkt, wie reich und vielfältig Brandenburg ist. Wir haben uns dann entschieden die Radialen zu erforschen, die für unsere Entwurfsidee eine große Bedeutung hatten, vor allem die Radiale in Richtung Nord-Osten. Ein guter Hinweis kam von den Mobilitätsexperten, die uns darauf aufmerksam gemacht haben, wie wichtig momentan die Beziehungen zwischen Berlin-Brandenburg und Polen für Deutschland sind. Das hat unsere Neugierde geweckt! Anschließend haben wir Informationen gesammelt sind durch Brandenburg in diese Richtung gefahren und haben uns mehrere Städte angesehen.

In Schwedt haben wir uns mit der Direktorin des Stadtmuseums getroffen. Das Museum verfügt über eine recht breit gefächerte Dokumentation der Stadtgeschichte und die Begeisterung der Wissenschaftler dort für die Entdeckung und Vermittlung der eigenen Stadtgeschichte ist groß. So fiel die Entscheidung, Schwedt für den Wettbewerb als exemplarischen Ort in Erwägung zu ziehen, um Berlin-Brandenburg auch mal von einer entfernteren brandenburgischen Perspektive zu betrachten. Bernau hingegen ist eine der Städte, die sich auf der gleichen Nord-Ost-Radiale befinden und in weniger als einer Stunde aus dem Zentrum Berlins zu erreichen ist. Zugleich ist es eine Stadt, die vor allem seit der Wiedervereinigung eine große Selbstständigkeit entwickelt hat und diese auch unabhängig von der Nähe zu Berlin weiterentwickelt.

Marcus Nitschke
Ein interessanter Gedanke, diese Beziehung auch einmal aus der brandenburgischen Sicht zu sehen!

Bernd Albers
Unsere gewählten Standort an der exemplarischen Nord-Ost-Orientierung haben auch viel mit Berlin und mit bestimmten historischen Fragestellungen zu tun, die aus kaiserzeitlichen Planungen resultieren, später dann aus der Weimarer Republik stammen und schließlich auch mit Nazi-Planungen verbunden sind. Dazu gibt es die komplexen Fragen des DDR-Städtebaus, zum einen der moderne Städtebau in der Frühphase, also in der stalinistischen Phase der 1950-er Jahre und zum anderen ab den 1960-er Jahren. Das sind alles spezifische Realitäten, die die gesamte Region Berlin-Brandenburg stark geprägt haben. All diese Hintergründe verbinden dann letztlich auch die drei ausgewählten Gebiete: Berlin-Südkreuz, Bernau und Schwedt.
In Berlin-Tempelhof am Südkreuz finden wir Siedlungen auf dem ehemaligen kaiserlichen Kasernengelände und damit die Folgen des Wettbewerbs Gross-Berlin von 1910, ebenso wie den monumentalen Nazi-Flughafen. In Bernau gibt es Plattenbauten auf Grundlage des mittelalterlichen Stadtgrundrisses, die ab 1975 entstanden, nachdem die Altstadt teilweise abgerissen wurde.

Schwedt wiederum ist so aufregend, weil dort die unterschiedlichen Modelle alle synchron existieren: Dort gibt es ein verschwundenes Residenzschloss, eine frühere und eine spätere DDR-Planungsgeschichte und mit den renaturierten Waldgebieten und dem Nationalpark Oderbruch ein großes Naturereignis. Die Petro-Industrie hat dieses Wachstum in den 1950-er Jahren überhaupt erst generiert, ist aber inzwischen massiv geschrumpft. Zugleich ist die historische Altstadt in ihren Strukturen nur noch teilwiese vorhanden. Wir finden also in Schwedt unterschiedlichste Stadtmodelle auf kleinstem Raum, daher können wir hier mit alternativen Strategien beispielhaft experimentieren.

Silvia Malcovati
Die Auswahl der Vertiefungsgebiete hat auch dazu geführt, dass alle drei Orte sehr gut zueinander passten. Es war möglich, anhand dieser drei Beispiele eine allgemeinere Strategie zu entwickeln, die sehr flexibel für ähnliche Fälle in anderen Orten sein könnte. Alle Orte spielten seit der Zeit Friedrich des Großen eine relevante Rolle und haben auch eine landschaftliche Infrastruktur erhalten, sie haben alle aber auch eine eigene Geschichte im landwirtschaftlichen Kontext und eine neuere Geschichte mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Wiederaufbau in der DDR bekommen. Und für jede dieser Zeitschichten ist es möglich, unterschiedliche Strategien zu entwickeln, um auch diese Geschichten durch die Projekte zu erzählen.
Der rote Faden für alle Vorschläge ist die Bahn, die für unser Projekt eine wichtige Komponente darstellt. Wir gehen davon aus, dass der Verkehr zukünftig weitgehend auf Schienen laufen wird. Die Schienen spielen entsprechend bei den ausgewählten Orten eine zentrale Rolle. In allen drei Orten haben die Bahnhöfe im Laufe der Zeit maßgeblich zur Entwicklung und Transformation beigetragen. Die Orte sind selbstständig, aber gleichzeitig auch gut vernetzt. Für unser Gesamtprojekt waren das die entscheidenden Elemente.

Marcus Nitschke
Während das Gebiet rund um das Berliner-Südkreuz und Bernau von der Infrastruktur gut angeschlossen sind, ist Schwedt eher abgeschieden.

Bernd Albers
Die Bahnstrecke endet derzeit in Schwedt. Wir wollen dieses ändern und schlagen eine Verbindung von Schwedt entlang der Oder bis Stettin vor. Damit würde die wichtige Radiale Berlin-Stettin über Schwedt führen und so auch den großartigen Naturraum der Oder beleben. In Schwedt führen wir aber auch die Debatte um die Altstadt, die zum Ende des 2. Weltkrieges zu großen Teilen zerstört und nicht wieder aufgebaut wurde, zum anderen arbeiten wir über die Residenzgeschichte mit dem Schloss, das 1945 ausbrannte, 1962 abgerissen und 1978 durch das Kulturhaus Schwedt ersetzt wurde.
Ein weiterer Punkt ist die DDR-Erweiterung, nach Plänen von Selman Selmanagíc aus den Jahren 1959-60, die dann ab den 1960-er Jahren durch den industrialisierten Wohnungsbau abgelöst wurden. Der ursprüngliche Plan hatte ein Zentrum, das jedoch nicht gebaut wurde: als nächster Planer hat Richard Paulick den Wohnungsbau am Rande des Gebietes realisiert, der öffentliche Teil wurde aber nie umgesetzt. Wir haben in unseren Plänen diesen Bereich wieder ins Leben gerufen, denn ohne einen öffentlichen Bereich machen die strahlenförmigen Wohnbebauten keinen Sinn. Wir haben dann vorgeschlagen, in diesem inhaltlich entleerten Ort Schulen, Forschungsinstitute oder Hochschuleinrichtungen zu entwickeln, die für die Zukunft der gesamten Stadt von Bedeutung sein könnten.

Marcus Nitschke
Gab es denn aus den Städten selbst eine Reaktion auf Ihren Wettbewerb?

Bernd Albers
Ja, die Schwedter sind offensichtlich begeistert, weil sie offenbar über unser Wettbewerbsprojekt eine Chance für die Weiterentwicklung und bessere Anbindung ihrer Stadt im Kontext Brandenburg-Berlin sehen. Den Bürgermeister von Schwedt Herrn Polzehl treffen wir anlässlich der Ausstellung in Berlin. Der Bürgermeister von Bernau, André Stahl, hat sich gleich am nächsten Tag in den Medien positiv und interessiert geäußert, also eine gute Resonanz!

Silvia Malcovati
Die ehemaligen Militärgelände und das Bahnhofsareal entlang des Pankeparks, die wir in Bernau betrachtet haben, stehen tatsächlich für Planungen aktuell in der Diskussion. Das wussten wir vorher zwar nicht genau, offenbar ist unser Konzept also nicht so abwegig und die Anbindung an den neuen dritten Ring wäre natürlich auch für Bernau eine enorme Wertsteigerung.

Bernd Albers
Die Berliner Reaktionen sind dagegen schon deutlich komplizierter, weil es gute Tradition in Berlin ist, dass sich Bezirksbürgermeister zu solchen Planungen nicht äußern, frei nach dem Motto: Was haben wir damit zu tun, wenn in unserem Bezirk Städtebauer eigenständige Überlegungen anstellen? Der Regierende Bürgermeister Michael Müller hat sich allerdings bei der Eröffnung der Ausstellung im Kronprinzenpalais dahingehend geäußert, dass er die zukünftige Randbebauung des Tempelhofer Feldes begrüßen würde. Die Resonanzen sind aus Brandenburg in der Summe bislang viel besser als aus Berlin. Das gilt auch für den Minister für Infrastruktur und Landesplanung des Landes Brandenburg, Guido Beermann, der Gesprächsbereitschaft geäußert hat. Mit ihm werden wir uns anfangs 2021 sicherlich treffen, mit der gemeinsamen Landesplanung sind wir bereits in konstruktiven Gesprächen.

Marcus Nitschke
Kann die Zusammenarbeit der Zuständigen für Verkehr, Infrastruktur und Stadtplanung auf lange Sicht die Weichen stellen? Hat man dann den Masterplan?

Bernd Albers
Der aktuelle Berlin-Brandenburger Masterplan, also der Landesentwicklungsplan, hat sich ja nicht selbst erfunden, er basiert selber auf langfristigen Phänomenen und Tradition der großräumlichen Stadt- und Verkehrsentwicklung. Darauf haben wir uns auch explizit bezogen. Wir thematisieren etwas, das erstens strukturell schon vorhanden ist und zweitens auch äußerst wertvoll ist. Und hier kommen wir auf den Siedlungsstern[1], der die Kernaussage für die strategische Planung ist. In der Fachwelt ist er natürlich bekannt, für Laien sicherlich noch nicht im gewünschten Umfang. Wir denken, er sollte als Fachterminus populär gemacht werden. In diesem Zusammenhang sind die Aktivitäten des AIV ja wirklich Gold wert, in der Ausstellung, in den Katalogen, in den begleitenden Publikationen und auch in den Metropolengesprächen.

Marcus Nitschke
Nun reicht es aber nicht, einen Bahnhof zu bauen und eine Straße in den Ort und etwas Kultur hinzubringen. Das ist doch noch kein Selbstläufer.

Silvia Malcovati
Wir haben die Idee entwickelt, dass der Siedlungsstern durch einen 3. Bahnring wesentlich verbessert und verstärkt werden kann. Die einzelnen Knotenpunkte können so besser und schneller miteinander verbunden werden, wesentlich unabhängiger von Berlin als heute. Wenn man heute mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Bernau nach Oranienburg fahren möchte, muss man über Berlin fahren. Teilweise gibt es diesen dritten Ring schon, es geht aber darum, mittelfristig eine Ringschließung zu schaffen. Eine solche Ringschließung kann durchaus in Phasen erfolgen, auch Teilabschnitte bringen bereits erhebliche Entlastungen. Da die Verbindungen im Westen schon deutlich weiter vorangeschritten sind, haben wir in unserem Entwurf auch keinen komplett neuen 3. Ring entworfen, sondern ihn im Westen mit dem bestehenden 2. Ring verbunden.

Marcus Nitschke
Es taucht ja auch der Begriff der Kulturlandschaften auf…

Bernd Albers
Die Frage der Landschaft muss zukünftig weiter differenziert thematisiert werden, zwischen Landschaftsschutzfragen, Agrarwirtschaft in unterschiedlicher Form und der Freizeitlandschaft. Solche Dinge spielen auch eine Rolle. Die haben wir mit dem Stichwort Kulturlandschaft umschrieben, wohl wissend, dass Lenné den Begriff auch schon gebraucht, aber anders gemeint hat, vielleicht auch in anderem Maßstab. Wenn man genauer hinschaut, wird man feststellen, dass die grünen Keile über Orte hinweggehen, die heute keineswegs grün sind. Wir wollten eine Perspektive aufzeigen, bei der manche Orte weiterentwickelt werden, manche aber auch nicht. Nur dann setzt sich die Idee des Siedlungssterns langfristig durch. Hierbei orientieren wir uns konsequent an den Bahnradialen, der Autobahnring ist zwar weiterhin vorhanden, spielt aber perspektivisch keine große Rolle mehr und soll auch nicht weiter ausgebaut werden.

Silvia Malcovati
Wir haben als Entwicklungsareale nur die Flächen ausgewählt, die entlang der Bahnradialen keine Naturschutzgebiete oder Wälder sind, also Flächen, die tatsächlich realistisch bebaubar sind. Am Ende haben wir nachgesehen: wie viele Quadratmeter das sind. Dabei sind wir auf eine Fläche für ca. eine Million zusätzliche Einwohner gekommen, allein im Bereich des Siedlungssterns.

Marcus Nitschke
Die Stadtgrenze, die es innerhalb des jetzigen Berlins vor 100 Jahren gab, hat sich ja durch die Schaffung Groß-Berlins inzwischen aufgelöst. Ist das auch Ihr Plan für die Städte rund um Berlin?

Silvia Malcovati
Die Idee ist, dass nicht nur Berlin sondern auch die brandenburgischen Mittelstädte wachsen. Es geht nicht um eine Zersiedlung, deswegen haben wir dem Projekt den Titel „Zusammenwachsen“gegeben. Brandenburg an der Havel beispielsweise hat im Zentrum der Stadt enorme Potentiale für Wohnorte und auch Industrieareale, die zur Verfügung stehen und auch im Interesse der Stadt sind, doch trotzdem wächst die Stadt noch nicht. Eine Optimierung der Bahnverbindungen würde diesen Prozess sicherlich beschleunigen.

Marcus Nitschke
Schon Anfang der 1990er Jahre dachte man in Berlin: Jetzt beginnt das große Wachstum, es kam aber nicht. Und jetzt, 30 Jahre später, ist es wieder retardierend, nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie.

Bernd Albers
Das ging Anfang dieses Jahres schon zurück. Natürlich hat das auch ein bisschen damit zu tun, dass eine Atmosphäre erzeugt wurde, die sagte: Eigentlich ist die Stadt voll und jeder der hier rein kommt stört. Dies ist ja eine merkwürdige Position, die mit einer aufgeklärten städtischen Denkweise wenig zu tun hat. Das hat natürlich atmosphärische Wirkungen auf die zukünftigen Bauherren. Wenn man als Kommune kaum eine Idee entwickeln will und nur mit Druck von außen fragmentarische Themen andeutet, aber daraus keinen Gesamtplan erarbeitet, ist das auch für die öffentliche Beteiligung desaströs. Der städtebauliche Zusammenhang kann dann in der Öffentlichkeit nicht gesehen werden! Deswegen haben wir aus dem Hochschulkontext zusammen mit den Kollegen Barbara Hoidn, Wilfried Wang und Jan Kleihues schon 2017 die Ausstellung Berlin 2050 – Konkrete Dichte entwickelt und 2018 die Ausstellung Berlin 2050 – Raum und Wert gezeigt.

In der zweiten Ausstellung haben wir vor allem versucht, eine strategische Position zu entwickeln, um mit den Studentenarbeiten exemplarische Szenarien an verschiedenen Orten in Berlin zu zeigen, sie aber gleichzeitig auch in einem großen Plan zu verorten.

Marcus Nitschke
Denken Sie, dass die polyzentrische Struktur von Berlin und das Thema Groß-Berlin es bis heute schwer macht, die Idee Stadt Berlin im Kopf zusammenzuhalten? Im Gegensatz zu Wien oder Paris gibt es keine in Stein gemeißelte allgemeine Vorstellung, in der die Innenstadt klar definiert ist und drumherum alles weitergewachsen ist.

Bernd Albers
Ich denke der vielbeschworene Polyzentrismus ist zum Teil auch ein Mythos der Berliner Geschichte, der im Wesentlichen durch die Teilungserfahrung vor 1990 befördert wurde. Ab dem 20. Jahrhundert, also ab der Gross-Berlin-Werdung kann man gewiss von einer polyzentralen Stadt reden, aber der singuläre historische Kern bleibt unstrittig. Man muss nur auf den Plan sehen, da ist er eindeutig erkennbar.

Silvia Malcovati
Ich habe in den Diskussionen über die Wettbewerbsergebnisse und die Ausstellung im Kronprinzenpalais gehört, dass Beteiligungsprozesse und partizipatorischen Prozesse durch die Gesamtschau auf eine höhere Ebene gebracht werden sollen. Aktuell versteht man Partizipation innerhalb des eigenen Kiezes, doch so eine Diskussion innerhalb eines Bezirkes kann auch gefährlich sein, da sich dort eine Minderheit von Entscheidungen betroffen fühlt, die von oben kommen. Stattdessen sollte man diese Beteiligung auf die Ebene Groß-Berlins oder sogar Berlin-Brandenburgs bringen, damit die konkreten Maßnahmen, die in den einzelnen Orten stattfinden können, nicht als fremde Operationen verstanden werden, sondern als Teil des Gesamtplans. Wir sollten also versuchen eine gemeinsame Begeisterung für eine allgemeinere Strategie zu erzeugen. Weil das nicht selbstverständlich ist, hat es mich umso mehr gefreut, dass sowohl die Diskussionen über die Wettbewerbsergebnisse als auch zu einzelnen Orten dieser übergeordneten Strategie jetzt folgen werden.

Marcus Nitschke
Noch eine Frage zur Ideenentwicklung Ihres Projektes. Wer war an Ihrem Projekt beteiligt beziehungsweise wie interdisziplinär waren sie aufgestellt – und hat das funktioniert?

Silvia Malcovati
Ja, das hat sehr gut funktioniert. Der Maßstab 1:100.000 ist ein Maßstab, in dem kaum einer von uns normalerweise arbeitet. Das ist an sich schon eine Herausforderung, die eine gemeinschaftliche Arbeit notwendig gemacht hat. Wir haben mit Workshops gearbeitet, vor allem in der ersten Phase hat das sehr gut funktioniert, in der wir um einen Tisch herumsaßen und alle zusammenarbeiten konnten. Aber auch nachher, als wir uns aufgrund von Corona nicht mehr vor Ort treffen konnten. Ich glaube, alle Beteiligten hatten die Möglichkeit, ihre Kompetenzen gleichermaßen einzubringen und diese sind auch in den Beiträgen gut erkennbar. Wir als Architekten und Städtebauer, die Landschaftsarchitekten um Günther Vogt und die Mobilitätsexperten von ARUP haben in gleichen Teilen zur Entwicklung der gemeinsamen Idee beigetragen.

Bernd Albers
Wir sind in dieser Konstellation als Wettbewerbsteam nicht zum ersten Mal unterwegs. Wir haben Erfahrungen in modifizierter Konstellation zusammen gemacht. Der Teamspirit und die Koordination haben sehr gut funktioniert. Mit Günther Vogt und Arup habe ich 2017 den Ideenwettbewerb Antwerpen-Linkeoever gewonnen und 2019 mit Günther Vogt zusammen den Wettbewerb für das Königsufer in Dresden.

Marcus Nitschke
Ich habe mir die drei Entwürfe angesehen und würde gerne mit Ihnen genauer besprechen, welche Rolle die Wohnblöcke spielen.
Vor allem für Tempelhof stellt sich die Frage: Gab es eine bewusste Entscheidung für die Größe und Proportionierung der Blöcke? Und welches Innenleben haben diese Blöcke?

Silvia Malcovati
Unsere Vorbilder waren die Wettbewerbsergebnisse aus dem Jahr 1910. Dort ist nicht nur der städtische Raum dargestellt, sondern auch die Architektur. Wir haben ziemlich früh festgestellt, dass diese Ebene der Figürlichkeit und Konkretheit der Architektur für uns nicht mehr nötig war. Wir wollten auf keinen Fall festlegen, welche architektonische Form die Stadt haben soll. Gleichzeitig war unser Team sich einig, dass das Ziel räumliche, also dreidimensionale Darstellungen sein sollen.
Wir wollten nicht bei der Darstellung von Diagrammen, Zahlen oder abstrakten Schemata bleiben, sondern städtische Räume bilden, die, ohne sich in die architektonische Detailierung zu verlieren, eine möglichst genaue Stadtsilhouette definieren. Daher haben wir uns für die Technik einer Collage aus Luftbildern entschieden.
Das war keinesfalls selbstverständlich. Vorher haben wir mit unterschiedlichen Formen experimentiert. Die Entscheidung fiel, um einerseits eine gewisse Einheitlichkeit der drei Gebiete zu erzeugen und andererseits, um diese Wirkung der Bilder zu schaffen.

Die Projekte sind relativ unterschiedlich: In Berlin am Südkreuz haben wir absichtlich die Wohnblöcke als extrudierte Baufelder dargestellt. Wir wollten keine klassischen Berliner Wohnhäuser mit Höfen und Randbebauung, sondern einfach potenzielle Baufelder zeigen. Die Wohnhäuser liegen an der S-Bahn, die wir nach Norden verlegt haben. Das schafft eine Insel zwischen S-Bahn und Autobahn. Die S-Bahn verläuft in unseren Plänen parallel zur Autobahn, damit eine Verbindung mit Tempelhof entsteht und eine Vervollständigung dieser Stadtgewebe durch die unterbrochene Infrastruktur ermöglicht wird.

Hier können gemischte Gebäudeformen mit Büros und Werkstätten angedacht werden. Das Ziel war, eine Art übergeordnete Struktur zu schaffen, die nicht nur für Berlin eine Bedeutung hat, sondern auch für Brandenburg. Das Tempelhofer Feld spielt schon eine große Rolle. Natürlich gibt es hier eine Wahrnehmung aus Sicht des Quartiers, aber Leute aus ganz Berlin und Brandenburg verbringen an Wochenenden dort ihre Freizeit. Wir haben versucht diese Rolle zu verstärken, indem wir ein großes öffentliches Gebäude am Rande des Feldes ergänzen. Der Bogen des Flughafens schließt sich im Norden an, die drei Türme im Süden bilden ein Stadttor an der Kreuzung Tempelhofer Damm mit den querenden Bahntrassen.

Die Projekte in Bernau und Schwedt sind dagegen realistischer und konkreter dargestellt. Der Grund hierfür ist der deutlich kleinere Maßstab und die Strategie der Stadtreparatur. Dadurch bekommen die vorgeschlagenen Interventionen Maßstäbe in denen die Projekte einen Schritt weiter typologisch verfeinert werden konnten.

Marcus Nitschke
Vielen Dank für das Gespräch.

 

 

[1] Als Berliner Siedlungsstern wird die planerische Grundlage der Umlandentwicklung Berlins bezeichnet. Der Name Siedlungsstern spielt dabei auf die strahlen- bzw. sternförmige Ausbreitung von Siedlungen von Berlin im brandenburgischen Umland an.